Freyer Bd. 2 - Ein Kind Afrikas by Ilona Maria Hilliges
Autor:Ilona Maria Hilliges
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: rowohlt
Wenige Tage später kam der Moment, vor dem es Amelie gegraut hatte: Baba Wilkening trank den letzten Schluck Rotwein und stellte das leere Glas auf den Esstisch im Salon.
«Tut mir einen letzten Gefallen», sagte er zu Amelie und Hanns. «Begleitet mich morgen nicht zur Eisenbahn, kommt nicht, um Auf Wiedersehen zu sagen. Ich glaube, dass ich das nicht aushalten würde. Geht eurer Arbeit morgen nach wie immer.» Er sah, dass Amelie etwas sagen wollte und kam ihr zuvor: «Und fragt mich nicht, ob ich bleiben will. Ihr kennt die Antwort.»
Nach einer tränenfeuchten Umarmung auf der Veranda entschwand der Urwaldarzt in die Nacht. Hanns reichte seiner Schwester eine Decke. Sie hüllte sich hinein und beobachtete, wie er sich eine Pfeife anzündete. Die beiden Hunde lagen zu ihren Füßen.
«Ich glaube, ich habe baba den Abschied von Salama erleichtert», sagte Amelie nachdenklich.
«Unsinn, Melli! Er will deiner Entwicklung nicht im Wege stehen.»
«Hanns, ich muss dir etwas erzählen», sagte sie und berichtete von der Einladung an Dernburg.
Hanns schwieg eine Weile, das Glimmen des Tabaks in seiner Pfeife erleuchtete seine Züge.
«Du scheinst wenig erbaut über mein Vorpreschen», sagte Amelie vorsichtig.
«Im Grunde ist das durchaus eine gute Idee», räumte der Pflanzer ein. «Gerade jetzt, wo die anderen so viel dummes Zeug über Sara, Lottchen und mich erzählen. Aber so viele offizielle Menschen … hier … Bevor die Regierungsfritzen kommen, müssen wir die Farm in Schuss bringen. Aber ohne Damasso …»
«Es wird ja erst in ein paar Wochen so weit sein», beruhigte sie ihn. Und sich selbst.
Noch etwas anderes lag ihr auf dem Gemüt: Hanns sollte endlich ins Farmhaus zurückziehen. Wegen der räumlichen Trennung sahen sich die Geschwister oftmals mehrere Tage lang nicht; Amelie kümmerte sich um das Krankenhaus, Hanns um die Pflanzungen und kehrte anschließend zu Frau und Kind heim.
«Hanns, ich fühle mich einsam in diesem großen Haus. Vater ist jetzt seit fast einer Woche fort …»
Er verstand ihre bewusst sanfte Anspielung: «Ich habe bereits mit Sara gesprochen, Melli. Sie will nicht. Sie sagt, dies ist das Haus der Weißen.»
«Und was hast du geantwortet?», fragte Amelie und spürte eine leichte Ungeduld.
Er stand ruckartig auf. «Ich kann sie doch nicht zwingen, Melli! In dem alten Häuschen bekommt sie Besuch von ihren Freundinnen. Sie sorgt sich, dass die sie meiden, wenn sie das Leben einer Weißen führt.» Er legte ihr die Hand auf die Schulter. «Habe Geduld mit Sara.»
«Und wenn ich noch so viel Geduld habe, wird Sara dennoch keine Weiße.» Amelie erschrak über ihre eigenen Worte. Sie hatte gesagt, was niemals hätte ausgesprochen werden dürfen. Sie griff nach der Hand ihres Bruders, doch er zog sie fort. «Es tut mir leid, Hanns! So war das nicht gemeint. Vergib mir.»
«Was soll ich dir verzeihen? Es ist ja im Grunde wahr, was du sagst.»
Er verabschiedete sich mit einem Gutenachtkuss auf ihre Wange und verschwand mit Juno in der finsteren Nacht.
Für einen Moment dachte Amelie, dass sich wahrscheinlich an Saras Einstellung nichts ändern würde, wenn Damasso fort wäre. Folglich könnte er ebenso gut bleiben. Aber sie verwarf diesen Gedanken. Sara brauchte eine Chance, um sich weiterentwickeln zu können.
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